10/07/2024 0 Kommentare
Oktober 1932
Oktober 1932
# Salvator Hineingeschaut

Oktober 1932
„Ein kleiner Schrecken der Überraschung fuhr uns in die Glieder, denn am Bahnhof angekommen, sahen wir schon unmittelbar hinter einer langen Hecke die Stätte liegen, die nun unser Wirkungskreis werden sollte, ein schöner, grosser, imponierender Neubau in blitzblanken Klinkersteinen. Aber der Neubau war erst ein Rohbau.“
So schilderten die beiden ersten Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel dem Chronisten, Pfarrer Dröder, ihre Ankunft vor 90 Jahren, am 5. Oktober 1932, in Lichtenrade.
Die Treppen waren noch nicht fertig, der Fußboden nicht gelegt, Türen noch nicht vorhanden, Glaswände auf den Stationen fehlten, „durch viele Fenster säuselte der Oktoberwind“. Im Pfarrhaus waren die Handwerker ebenfalls noch zu Gange, Tische und Stühle fehlten, eine Haustür gab es noch nicht. Doch die beiden ließen sich nicht abschrecken und begannen zwei Tage später, nachdem etliches Hausgerät beschafft worden war, mit dem Hausputz. Am 7. Oktober kamen drei weitere Schwestern aus Heiligenstadt an und so war noch am Abend des Tages nicht nur das Pfarrhaus wohnlich gemacht, sondern auch schon der Umzug der Notkirche aus dem (späteren) Apothekenhaus in den größeren Pfarrsaal bewerkstelligt. Dr. Aloys Kirchner, Priester und Wissenschaftler aus Heiligenstadt und ein Onkel der Sekretärin von Prälat Grabe, Änne Kirchner (von 1932 – 1971 Pfarrsekretärin), feierte am nächsten Morgen dort den ersten Gottesdienst und ab dem Sonntag, 9. Oktober 1932, übernahm der Gemeindesaal bis zur Benediktion der Salvator-Kirche im Februar 1933, die Funktion der Kirche.
Auch der neue Kaplan, der Prälat Grabe in Lichtenrade unterstützen sollte, der spätere Kuratus und langjährige Pfarrer von Salvator, Wilhelm Lütkehaus, zog nun im Pfarrhaus ein. Die Schwestern wohnten dort noch bis Anfang November, bis sie endlich in ihre eigentliche Wirkungsstätte, das Krankenhaus, umziehen konnten.
Doch wie war es eigentlich dazu gekommen, dass die Schwestern aus Heiligenstadt den Betrieb des Kinderkrankenhauses übernahmen?
Das Waisenhaus in St. Elisabeth, der Pfarrei von Prälat Grabe, in der Kolonnenstraße, wurde von Dominikanerinnen betrieben. Ursprünglich war angedacht, dass sie auch das Kinderkrankenhaus übernehmen sollten. Es stellte sich jedoch heraus, dass der Orden das aus Kapazitätsgründen nicht leisten konnte. So wurde Prälat Grabe schon 1929 in Heiligenstadt vorstellig. Der Schwesternchronik zufolge, dauerte es einige Zeit und kostete Überredungskünste, bis er das Einverständnis der Generaloberin, Schwester Maria Pia Hupe, erhielt, dass der Orden die gesamte hauswirtschaftliche und pflegerische Tätigkeit im Krankenhaus übernehmen würde. Ein entsprechender Vertrag, unterzeichnet von Msgr. Grabe für die Stiftung St. Elisabeth-Haus am 13. 10. 1930 und der Generaloberin, sowie dem zuständigen Superior, Pfarrer Karl Poppe (1863 – 1932), Propst an St. Marien in Heiligenstadt, am 15. 10. 1930, gesiegelt beim Berliner Bischof, Christian Schreiber, regelte die Einzelheiten.
Der Orden hatte eine lange Tradition im Schulwesen und in der (Kranken)Pflege. Am 8. September 1807, vor 215 Jahren, wurde er in Frankreich durch Julie Postel (Ordensname Maria Magdalena Postel, 1754 – 1846, heiliggesprochen 1925) gegründet. Der Name lautete „Arme Schwestern der Barmherzigkeit“. Der Leitspruch war „Die Jugend bilden, die Armen unterstützen und nach Kräften Not lindern.“ Die Satzung ist angelehnt an die Statuten des Ordens der Brüder der christlichen Schulen des Jean-Baptiste de La Salle. Aus Deutschland hatte die Nachfolgerin der Gründerin, Placida Viel (1815 – 1877, 1951 seliggesprochen) finanzielle Unterstützung für die Arbeit des Ordens erhalten und so gründete sie in Heiligenstadt im Eichsfeld, wo sich bereits einige Zeit zuvor vier Lehrerinnen zu einem ordensähnlichen Leben entschlossen hatten, eine deutsche Niederlassung. Am 7. 10. 1862 (160 Jahre) wurde dort das Bergkloster benediziert. Während des Kulturkampfes wurden die Schwestern vertrieben, konnten aber 1882 nach Deutschland zurückkehren und 1887 (135 Jahre) am 5. November das Bergkloster wieder eröffnen. Die deutsche Gründung wurde schließlich am 31. August 1920 unter dem Namen Schwestern der christlichen Schulen von der Barmherzigkeit selbständig. Erste Generaloberin war eben jene Schwester Maria Pia, die später die Übernahme des Kinderkrankenhauses genehmigte.
Einige der Schwestern, die im Laufe der Jahre nach Lichtenrade kamen, blieben hier lange: 30 oder gar 40 Jahre waren keine Seltenheit. Die Aufgaben waren vielfältig, waren doch die Schwestern nicht nur im Krankenhaus tätig – als Säuglingsschwestern, Krankenschwestern, Operationsschwestern, Lehrschwestern, in Küche, Büro, Nähzimmer oder für die Tierzucht oder Wäscherei – sondern unterstützten lange Jahre auch unsere Gemeinde, indem sie als Küsterin wirkten: etwa Schwester Maria Augusta von März 1933 bis Dezember 1969 – oder als Organistinnen aushalfen. Einige von ihnen waren nach ihrem Weggang aus Lichtenrade in der Leitung des Ordens tätig, so etwa die 4. Oberin in Lichtenrade (1946 bis 1950), Sr. Bernarda vom Kreuz Münstermann, als Generaloberin, oder die langjährige Lehrschwester und zeitweilige Organistin (von November 1945 bis September 1974), Sr. Rosaria Maria Wiegel als Generalsekretärin.
1974 musste der Orden – nach über 40 Jahren Tätigkeit am „Kikrabeli“, wie die Chronistinnen das Christophorus-Krankenhaus liebevoll nannten – seine Arbeit aus Personalmangel aufgeben.
90 Jahre nach den Anfängen scheinen mir ein guter Anlass, dankbar an die Arbeit der Schwestern hier zu erinnern. Sie haben viel dazu beigetragen, dass das Kinderkrankenhaus zeitweise als das modernste Europas galt.
Bis zum nächsten Hineingeschaut – ausnahmsweise erst am 4. Dienstag im November –
Ihre /Eure Regina Mahlke, Chronistin
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